„Im Zuge der heftig geführten Globalisierungsdebatte und der damit zusammenhängenden sogenannten Finanzkrise gerät der Versuch des Grafen Casimir von Hanau-Lichtenberg (1623 – 1685) im Nordosten Südamerikas eine Kolonie ‚Hanauisch-Indien‘ zu gründen in einen tagesaktuellen Zusammenhang.“ So begann Gabriele Marcussen-Gwiazda, Wirtschaftshistorikerin aus Rüsselsheim, das Interesse der zahlreich erschienenen Zuhörer an der Tatsache zu wecken, dass Rodheim im Jahr 1669 verpfändet wurde.
Friedrich Casimir, geboren 1623, übernahm 1641 – noch minderjährig und zunächst unter Vormundschaft – die Regierung über die Grafschaft Hanau-Lichtenberg und erbte ein Jahr später die Grafschaft Hanau-Münzenberg dazu. Die finanzielle Situation der Grafschaft nach dem 30-jährigen Krieg war jedoch außerordentlich schwierig, und Graf Casimir nicht mit ausreichendem Gespür für nachhaltiges Wirtschaften ausgestattet. Zur Finanzierung seines Konsums mussten immer wieder Güter veräußert werden.
Als schwache Persönlichkeit, umgeben von den falschen Beratern, wird er zum Spielball und Werkzeug der Eigeninteressen seines Umfeldes. Casimir hatte bereits „seinen Untertanen durch philosophisches Spintisieren und Verschwendung missfallen“. So war es ein Leichtes seine Begeisterung für ein überseeisches Kolonial-Projekt Hanauisch-Indien als größtes seiner Luftschlösser zu entfachen. Die Referentin stellt die Berater vor: u. a. Bengt Skytte, ein aus schwedischen Diensten entlassener Reichsrat, und Johann Joachim Becher, eine nicht unumstrittene Persönlichkeit, Vielfachgelehrter und Visionär, der nach eigenen Aussagen viel ‚probirt, laborirt und speculirt‘ hatte, und als einer der ersten und wichtigsten Theoretiker des Merkantilismus gilt, spätestens seit Erscheinen seines Hauptwerkes ‚Politischer Diskurs‘.
Becher hatte von der Holländisch-Westindischen Compagnie (WIC) einen Landstrich gekauft, am Orinoco gelegen an der Nordküste Südamerikas, den es nun galt, an den Grafen zu bringen, immerhin 3000 Quadratmeilen. Ganze 44 Quadratmeilen umfasste damals die Grafschaft Hanau! Allein was fehlte, war das nötige Geld. So verpfändete Friedrich Casimir das Amt Rodheim an den Landgrafen Georg Christian von Homburg. Um seine finanziell desaströse Situation zu verbessern dachte er sogar daran, die Grafschaft Hanau-Lichtenberg an den Herzog von Lothringen zu veräußern und – lutherischen Glaubens – zum Katholizismus überzutreten, um sich von katholischer Seite Unterstützung zu sichern.
Seine Verwandten setzten dem Treiben des Grafen ein unrühmliches Ende. Sein Bruder Johann Philipp putschte im November 1669 während Casimirs Abwesenheit, das nachfolgende Notstandsregime währte jedoch nur 3 Tage. Letztlich erhielten die Vormünder seiner Neffen, die für seine Nachfolge vorgesehen waren, eine Mitregentschaft und ein Vetorecht gegen die Entscheidungen des Grafen Friedrich Casimir. Sichtbares Zeugnis dieses Kolonialprojektes ist nur noch ein Gemälde von David von Welcker, das heute in der Kunsthalle in Karlsruhe hängt.
Es gelang der Referentin, die vielfachen Verflechtungen um den Grafen zu erschließen, ein lebendiges Bild der Beteiligten zu zeichnen, kaufmännische Grundtugenden und handelspraktische Erfahrungen an Bechers und Casimirs Unvermögen zu spiegeln, und Staunen über die kurzzeitige Weitergabe von Nachrichten in bestimmten Kreisen, auch über weiter Entfernungen, zu erzeugen – lange vor unserer multimedialen Zeit.