Unter dem Thema „Zuflucht, nicht Heimat“ hatte der Rodheimer Geschichts- und Heimatverein (RGHV) am 19.11.2010 zu einer Vortragsveranstaltung eingeladen. Referentin war Doris Fischer, einst langjährige Vereinsvorsitzende. „Es ist ein wundervoller Blick in diese Runde“, meinte ihr Nachfolger Karsten Brunk angesichts der über hundert Zuhörer, die sich im Kollegraum des Bürgerhauses eingefunden hatten. So viel Interesse an einem Vortrag habe es nicht immer gegeben.
Bevor die Referentin, eine gebürtige Rodheimerin, auf den schwierigen Neubeginn und die „versuchte Integration“ der Evakuierten, Flüchtlinge und Heimatvertriebenen zu sprechen kam, ging sie ausführlich auf die Historie der deutschen Ostsiedlung ein – beginnend mit der Epoche der Völkerwanderung im 4. bis 6. Jahrhundert – sowie die politischen Hintergründe der polnischen Teilungen. Allein dies wäre ein eigener Vortrag wert gewesen.
Auszüge aus Beschreibungen von Flüchtlings-Odysseen führten schließlich auf das Thema hin, das laut Fischer „nicht zu den rühmlichsten der Rodheimer Ortsgeschichte zählt“. Es war die Bereitstellung von Wohnraum für die Hilfesuchenden. „Man musste sich arrangieren und erleben, dass der, der wenig hat, am ehesten zum Teilen bereit war“. Viele Anfeindungen der Einheimischen, wenn Wohnraum, Haushaltsgeräte und Textilien an die Mittellosen abgegeben werden sollten, hätten den beiden Bürgermeistern Philipp Schmidt, und später Friedrich Schröder, Kopfzerbrechen bereitet und das Zusammenleben erschwert. „Auch die Flüchtlingskinder waren in manchen Haushalten als Spielkameraden unerwünscht“. Die Notwendigkeit einer gemeinsamen Küchenbenutzung hätte für viele Hausbesitzer „eine schier unüberwindliche Hürde“ bedeutet. Ursache waren nicht nur die rund 400 Flüchtlinge und Vertriebenen gewesen, deren Zahl bis Ende 1950 auf rund 500 anstieg, sondern auch Evakuierte zum Beispiel aus Frankfurt.
Viele von ihnen blieben in Rodheim ansässig. „Lange Jahre haben wir allerdings immer nur am Rand gestanden“, erinnerte sich eine Zuhörerin an ihre Nachkriegszeit-Kindheit zurück. Sie gehörte zu jenen Neubürgern, die Mitte des vorigen Jahrhunderts rund ein Viertel der Rodheimer Gesamtbevölkerung darstellten, und die sich um eine Integration bemühten. Wie Fischer ausführte, wurde das kommunale Zusammenleben damals durch die Kontrollratsgesetze der Besatzungsmächte geregelt, worüber es im Gemeindearchiv zahlreiche – wenn auch bislang noch nicht ausreichend sortierte – Unterlagen gebe. Inzwischen habe sich die Bevölkerungszahl von Rodheim seit Kriegsende fast verdoppelt, und mit derzeit nahezu 500 ausländischen Mitbürgern eine erneute Herausforderung mit sich gebracht. „Für mich ist es eine Ironie der Geschichte, dass sich heute darunter ungefähr doppelt so viele Muslime befinden, wie vormals Juden in unserem Dorf lebten“, beendete Fische ihren Vortrag. (sky)